Rezension zu „Fernschachdramen“

Uwe Bekemann, PR-Manager des Deutschen Fernschachbundes, stellte uns freundlicherweise diese Rezension zu unserer diesjährigen Neuerscheinung „Fernschachdramen“ zur Verfügung:

Fernschachdramen“ – ein Buch über das HHM, das Hermann-Heemsoth-Memorial, aber noch viel mehr. Es ist ein echtes Fernschachbuch, das die vielen Gesichter des Fernschachs thematisiert, seine Zukunft wie seine Vergangenheit beleuchtet und „Fernschachpartien satt“ enthält.

Das HHM ist ein internationales Einladungsturnier des Deutschen Fernschachbundes e.V. (BdF), das zu Ehren von Hermann Heemsoth veranstaltet wurde, der allgemein ein starker Schachspieler und speziell ein ausgezeichneter Fernschachspieler, erfolgreicher Publizist in Sachen Schach sowie langjähriger Präsident und Ehrenpräsident des BdF war. Das Projekt stand unter dem Anspruch, das bis dahin stärkste jemals gespielte Fernturnier zu werden. Die ersten Züge wurden ab dem 21.2.2008 und damit zwei Jahre nach dem Tod von Hermann Heemsoth in 2006 ausgeführt, abgeschlossen wurde das Turnier in 2010.

Das Vorhaben, auch ein Turnierbuch herauszugeben, wurde mir schon in der Planungsphase des Turniers als Mitglied des BdF-Vorstandes bekannt. Und ich muss zugeben: Ich war skeptisch in meinen Erwartungen, ob das Buchprojekt zu einem guten Ergebnis führen könnte und ihm letztlich auch ein wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein würde, indem es einen genügenden Zuspruch der Schachwelt bekommt.
Jetzt, nachdem ich die Gelegenheit hatte, mich von den Ergebnissen der Arbeit der beiden Autoren Dr. Fritz Baumbach und Dr. Stephan Busemann zu überzeugen, stelle ich fest, dass meine Skepsis unbegründet war. „Fernschachdramen“ zählt für mich zu den besten jemals zum Fernschachspiel geschriebenen Büchern. Erschienen ist es im Verlag ChessCoach GbR.

Die Spielerinnen und Spieler dürften sich am meisten für die im Werk abgebildeten Partien interessieren. Deshalb fange ich meine Betrachtung der Inhalte damit an.

Alle im HHM gespielten Partien haben Aufnahme gefunden. Wenn auch nicht alle, so haben viele von ihnen doch die Klasse, die man im Primus unter den Turnieren erwartet. Mehr als 80 Partien sind – zum Teil aufwändig – kommentiert, wobei zumeist auch die Vertreter am Brett zu Wort kommen. Der Leser erhält dann also die Einblicke in die Partien und die Varianten, die nicht zum Tragen gekommen sind, aus erster Hand. Fernschachdramen können sich auch neben dem eigentlichen Partieverlauf abspielen, wie die Autoren unter einem Hinweis auf den Titel des Buches wissen, und der Leser bekommt diese dann in den Kommentaren zu Gesicht.

Soweit von den Spielern keine Anmerkungen zur Verfügung gestellt wurden, haben sich Baumbach und Busemann selbst an die Arbeit gemacht. Dazu später mehr. Bevor ich die Partien wieder aufgreife, bedürfen zunächst andere Inhalte von „Fernschachdramen“ eines Lichtkegels, da diese auch Auswirkungen auf die Partien hatten.

Die beiden Autoren gehen, wie es sich für ein gutes Turnierbuch gehört, auch auf bemerkenswerte Vorgänge in der Turnierorganisation und in dessen Ablauf ein. Hier bietet das Werk, auf mehrere Stellen verteilt, fesselnden Lesestoff, der dem Leser zudem Zutritt hinter den Vorhang erlaubt, der üblicherweise den allgemeinen Blick auf „Fernschachdramen“ neben dem Brett verwehrt. Er erfährt, wo es „menschelte“, handfest um Bedingungen gepokert wurde, Eitelkeiten Einfluss auf Abläufe nahmen, Handtücher geworfen wurden, Etikette eingehalten und Etikette gebrochen wurde, Freundschaften gestärkt wurden oder auch einen Schatten bekamen und noch manches mehr.

Um seinem besonderen Anlass gerecht zu werden, sollte das HHM – wie oben schon angemerkt – das stärkste jemals ausgetragene Fernschachturnier werden. Dieses Ziel sollte dadurch erreicht werden, dass durch einen bis dahin illusionären Elo-Durchschnitt der Teilnehmer eine glanzvolle Turnierkategorie verwirklicht werden würde und zudem möglichst viele Spieler teilnehmen sollten, die sich in der Geschichte des Fernschachspiels hatten die Krone des Weltmeisters aufsetzen können. Diese hoch gehängten Trauben wurden geerntet – „Fernschachdramen“ ist damit auch ein Mosaik in der Fernschach-Geschichtsschreibung, indem es ein hier wichtiges Ereignis für die Nachwelt festhält.

Von kleinen bis mittelschweren Dramen berichten die Autoren auch schon rund um die Organisation des Turniers.
Zu einem fortgesetzten Stand der Umsetzungen mussten das Teilnehmerfeld und das Preisgeld, das ursprünglich insgesamt 8.000 Euro betragen sollte, aufgestockt werden. Die nach der Elo-Zahl stärkste aktive Spielerin Deutschlands, Annemarie Burghoff, wollte teilnehmen und wurde in ihrem Verlangen von Dritten unterstützt. Ihrem Begehren wurde nachgegeben, obwohl es weder von einem früheren WM-Titel noch von ihrer Elo-Zahl gestützt wurde. Um die angestrebte Turnierkategorie zu halten, musste ein weiterer elo-starker Spieler gefunden werden. Dies passierte, doch waren für die Zustimmung der anderen Spieler Zugeständnisse beim Preisfond und der Urlaubsregelung zu machen, die sich dann erheblich auf das Turniergeschehen auswirkte.

Der erste Turnierleiter, Witold Bielecki, verstarb und wurde durch Georg Walker ersetzt, der dann aber irgendwann entnervt das Handtuch warf („Es gab unsportliche Aktionen, Spiel gegen die Regeln und einfach unanständige Dinge…“) und seinerseits durch Carlos Flores ersetzt wurde.
Ein Spieler, Vytas Palciauskas, trat ohne einen besonderen Grund während des Turnierverlaufes zurück, ein anderer, Guillermo Toro, folgte ihm später, aber aus einem wichtigen Grund – das Erdbeben in Chile betraf ihn auch persönlich. Eine Sammlung solcher Vorfälle ist gewiss nur in einem Fernschachturnier möglich, auch hier aber ist dies eine bemerkenswerte Ausnahme.

Fernschachdramen einmal anders! Baumbach und Busemann schildern sie informativ und fesselnd zugleich.

Sie beschränken sich in ihren Beschreibungen des Fernschachspiels nicht auf die Vorgänge im HHM, sie sprechen wichtige Themen vielmehr auch aus einer allgemeinen Sicht an. So gehen sie auf die Änderungen im Zugaustausch ein, von der Postkarte bis zum Server, und die damit verbundenen Konsequenzen. Baumbach kann nicht wirklich verheimlichen, dass er in diesem Punkt eher Romantiker und das Spiel per Postkarte seine Herzenssache ist. Die Fragen nach der Zukunft des Fernschachspiels bleiben ebenfalls nicht außen vor. Drei interessante Interviews mit den Erstplatzierten im HHM, Roman Chytilek, Ron A. H. Langeveld und Richard V. M. Hall, eröffnen interessante Sichtweisen und machen Mut.

Das leidige Thema des unsportlichen Verschleppens eindeutig verlorener Partien spricht das Autorenduo ebenfalls an, aber vor dem Hintergrund, dass es hierzu auch im Turnier kam. Ihre beiden Verlustpartien setzte Annemarie Burghoff in für die Autoren unverständlicher Weise bis weit nach deren Aufgabereife fort. Die Autoren dürften sich auch darüber geärgert haben, dass es zur Verschleppung gerade im HHM kam, da es die Absicht zur Platzierung eines ansprechenden Turnierbuches gab und sich die Folgen einer Verschleppung breiter auswirken („Solches wird leicht vom Gegner als Provokation gedeutet und führt dann zu Spannungen, in die oft auch die Turnierveranstalter einbezogen werden.“). So sehe ich es als erklärlich an, dass sie sehr deutliche Worte zu diesem Thema gefunden haben.

Leider sind keine Kommentierungen von der Spielerin im Buch zu finden, sodass es auch zur Frage der Verschleppung keinen „O-Ton“ gibt.
Zu den „Fernschachdramen“ zählen eben auch weltweit sinkende Spielerzahlen, eine Ausdünnung des Fernschachspiels auf Klubniveau und das Verschleppen von Partien. So ist es sehr zu begrüßen, dass Baumbach und Busemann in ihrem Buch auch hierauf eingehen und „Fernschachdramen“ auch dadurch zu mehr als einem Turnierbuch zum HHM machen.

Diese Rezension wäre unvollständig, wenn eine Weltneuheit nicht erwähnt würde – „Fernschachdramen“ bildet auf mehreren Seiten ein persönliches Turniertagebuch von Dr. Matthias Kribben ab. Damit eröffnet er eine völlig neue Sichtweise auf das HHM, eine sehr persönliche und emotionale Sicht. Das Hoffen auf Fehler der Gegner, Zweifel an der Korrektheit eigener Züge und Pläne, allgemein nicht für die Gegnerschaft und die Öffentlichkeit bestimmte Turnierplanungen – hier geht ein weiteres Mal der Vorhang für einen Blick hinter die Kulissen hoch. Die Aufnahme des Tagebuchs war eine sehr gute Idee und Entscheidung, der Lesestoff ist eine echte Bereicherung.

Nun noch einmal, wie angekündigt, zu den Partien im Buch, verbunden mit einem Blick auf die beiden Autoren. Diese nämlich zählen zur (auch historischen) Elite des Fernschachs. Fritz Baumbach war selbst Weltmeister und ist ein fleißiger Publizist mit einem immensen Erfahrungsschatz. Stephan Busemann ist mehrmaliger Gewinner der Goldmedaille mit dem deutschen Olympiateam. Sofern die Kommentare und Analysen nicht von den Teilnehmern des Turniers selbst stammen, sind sie aus der Feder dieser beiden, teilweise auch in Ergänzung von Spielerkommentaren.

Baumbach und Busemann wirken sehr gut zusammen, Unterschiede in der Art der Kommentierung werden deutlich und bereichern das Werk auch. Baumbach geht – dies meine ich eher in einer Tendenz – den Weg des kundigen Plauderers, der Varianten und Analysen eher zurückhaltend und auf das Wesentlichste konzentriert einsetzt. Busemann hingegen legt mehr Wert auf Details in den Partien und deren Möglichkeiten, ohne aber die erzählenden und zusätzlich unterhaltenden Elemente zu vernachlässigen.
Insgesamt ist „Fernschachdramen“ im Kern eine erfrischende Sammlung kommentierter Partien, ergänzt um die weiteren Partien des HHM, die nur in der Form der reinen Notation aufgenommen worden sind.

„Fernschachdramen“ ist mit einer bemerkenswerten Akkuratesse geschrieben worden. Mir ist ein einzige Rechtschreibfehler aufgefallen und in einem weiteren Fall passte die Bewertung eines Zuges mit „!?“ nicht so recht zum sich anschließenden Textkommentar.
Wenn es doch etwas zu kritisieren gibt, dann sind dies die Abbildungen der Teilnehmer am HHM. Diese Bilder sind zu einem hohen Anteil etwas arg dunkel geraten.

Zusammenfassung: „Fernschachdramen gibt dem Leser …
– 136 Partien in die Hand, von denen mehr als 80 kommentiert sind, teilweise mit einer seltenen Brillanz.
– viel Lesestoff, von nüchternen Vorstellungen der Teilnehmer und allgemeinen Beschreibungen bis hin zu emotional geprägten Tagebucheintragungen sowie spannenden, fesselnden und manchmal auch – in ihrer Deutlichkeit überraschenden – kritisierenden Statements (die Autoren haben an verschiedenen Stellen aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht und mit sowohl gebotener Zurückhaltung als auch aller Deutlichkeit ihre Ansichten zum Ausdruck gebracht).
– viele allgemeine und spezielle Infos zum Fernschach, zu Hermann Heemsoth, einem der wichtigsten Spieler und Funktionäre, zu dessen Ehren das Turnier ausgetragen wurde.
– an mehreren Stellen Neuerungen zur Eröffnungstheorie, auch in der Form von Neubewertungen bzw. Änderungen von Haupt- und Nebenvarianten.

Fazit: Das Buch gehört in die Hand jedes passionierten Fernschachspielers! Auch die Schachfreunde, die mit dem Fernschachspiel als solchem nichts verbindet, profitieren von dem Werk, vor allem über die insgesamt mehr als 80 gut geführten und sehr ansprechend kommentierten Partien.

Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise vom Verlag ChessCoach GbR (www.verlag-chesscoach.de) zur Verfügung gestellt.

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